Berlin/Kalletal: „Wir sprechen uns ausdrücklich gegen den Neubau, insbesondere gegen die vorgestellten Varianten 9 und 12 in der Gemeinde Kalletal aus!“ steht über den Stellungnahmen, die Kalletals Bürgermeister Mario Hecker jetzt den lippischen Bundestagsabgeordneten Kerstin Vieregge, Jürgen Berghahn, Robin Wagener und Christian Sauter im Deutschen Bundestag überreichte. Sauter hatte diesen Termin organisiert.
„Die Entscheidung über die Umsetzung des Projektes und deren tatsächlichen Trassenverlauf wird am Ende in Berlin getroffen“ so Hecker bei der Übergabe, „Wir bitten daher um Prüfung und Berücksichtigung unserer Argumente.“ Eine Vielzahl an Fachleuten habe enorm viel Zeit investiert und ihre fachliche Expertise eingebracht. Zudem habe der Rat der Gemeinde Kalletal mit Beschluss aus der vergangenen Woche seine zustimmende Kenntnisnahme zu den Stellungnahmen erteilt.
Auch der Deutschen Bahn und dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr an ihrem jeweiligen Sitz in Berlin überreichte der Bürgermeister die entsprechenden Dokumente.
Rückblick: Im Oktober des Jahres hatte die Deutsche Bahn auf Einladung der Kalletaler Verwaltung zum Bahnprojekt Hannover–Bielefeld über die Veröffentlichung von zwölf Trassen-Korridor-Varianten, von denen zwei Varianten die Gemeinde Kalletal tangieren, im Rahmen einer Sondersitzung des Rates informiert. Nicht nur das Interesse der Kalletaler Bürger war seiner Zeit groß, auch das Entsetzen über das, was auf den ersten Blick schier unfassbar erscheint.
Sinkende Grundwasserspiegel befürchtet
Die Verwaltung hatte zeitgleich einen Online-Dialog unter der Überschrift „Kalletal erhebt seine Stimme!“ freigeschaltet und den Bürgern damit die Möglichkeit eröffnet, ihre Meinung zum Großprojekt auch lokal zu dokumentieren. 131 Beiträge zum Vorhaben mit 67 Kommentaren und über 2.257 Bewertungen waren zu verzeichnen. Die Ergebnisse wurden durch die Verwaltung in einem 26 Seiten umfassenden Dokument zusammengefasst. Auch dieses überreichte Hecker den Abgeordneten.
Im November erarbeitete der Bürgermeister mit Vertretern der Kalletaler Landwirtschaft, Forstwirtschaft und der Jagd dann eine gemeinsame Stellungnahme. Hierin werden unter anderem die Befürchtungen geäußert, dass der ohnehin schon sinkende Grundwasserspiegel durch die geplante Maßnahme zusätzlich verstärkt wird, sich veränderte Fließrichtungen ergeben, was wiederum auch einen negativen Einfluss auf den Waldbestand haben wird und zu Vertrocknung führen kann, da das Wurzelwerk dann nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt wird. Im Übrigen sei zu erwarten, dass das Trinkwasserversorgungsgebiet „Kalldorfer Sattel“ durch das Projekt erheblichen Schaden nimmt. Es handelte sich hierbei nicht um eine ausschließliche Trinkwasserversorgung für die Gemeinde Kalletal. Vielmehr würde von hier aus überwiegend eine ganze Region versorgt. Beispielhaft seien Bad Salzuflen und Herford genannt. Aus Sicht der Landwirte sollen hanglagige Flächen untertunnelt und wertvolle Flächen in der Ebene zu Lasten der neuen Strecke aufgegeben werden. Das wiederum führe zu großen Umwegen um zukünftig die Ackerflächen noch erreichen zu können. Der Neubau einer ICE-Strecke habe auch komplexe Auswirkungen auf die Jagd, die sowohl durch den Verlust von Lebensräumen, die Zerschneidung von Wildbeständen als auch durch die Störung des Wildverhaltens bedingt sind. Die Jagd in betroffenen Gebieten würde erheblich erschwert oder gar unmöglich gemacht werden.
Negative Auswirkungen auf die Weseraue
Anfang Dezember hatte Hecker dann die Vertreter der Kalletaler Wirtschaft sowie des Natur- und Landschaftsschutzes und dem Tourismus in das Rathaus eingeladen, um eine weitere Stellungnahme anzufertigen. Hier war man sich schnell einig, dass im Vergleich zu den anderen Varianten der Trassenplanung die Eingriffe der Trassenführung im Bereich der Gemeinde Kalletal insbesondere in Hinsicht auf die sensible Weseraue besonders schwer wiegen. Ein Trassenbau durch die naturschutzfachlich überregional bedeutsame Weseraue würde weitreichende negative Auswirkungen auf die Funktion der Weseraue als Rast- und Ruheraum wandernder und überwinternder Vogelarten aber auch als Lebensraum hochsensibler Arten wie dem Seeadler haben.
Allein im Kalletal seien pro Jahr über 126.000 touristische Übernachtungen zu verzeichnen. Ein Wirtschaftszweig in Lippe, der mit 13 Millionen Tagesgästen und 2 Millionen Übernachtungen zu regionalökonomischen Effekten von 608 Millionen Umsatz in 2023 geführt habe. Den Bürgern und Gewerbetreibenden, die mit Ferienwohnungen, Gaststätten, Hotels, Campingplätzen, Sehenswürdigkeiten, direkt oder indirekt ihren Lebensunterhalt bestreiten, würde die Geschäftsgrundlage entzogen.
Auch der Museumsvereins Kalletal beteiligte sich und erarbeitete eine Stellungnahme. Er weist daraufhin, dass die unter Denkmalschutz stehende Windmühle in Bentorf eine große museale und technikgeschichtliche Bedeutung zukommt. Sie sei die letzte original erhaltene ihrer Art in Lippe und im gesamten westfälischen Bergland.